Die Initialzündung für den Synodalen Weg der Katholischen Kirche in Deutschland war das Gefühl, an einem toten Punkt angelangt zu sein, nachdem die MHG-Studie die Dimensionen des Missbrauchs in unserer Kirche deutlich werden ließ.
Auf dem Weg zur Umkehr und Erneuerung unserer Kirche wird als Zielperspektive von mehr Synodalität in unseren Strukturen und Prozessen gesprochen. Schaut man näher hin, was damit gemeint ist, so begegnen wir Begriffen bzw. Haltungen wie
- begegnen
- einander zuhören
- hören auf das Wort Gottes
- gemeinsames Fragen nach der Sendung, die uns aufgetragen ist
- wie mit dem uns anvertrauten Auftrag zur Verkündigung umgehen
- Erfahrungen des gemeinsamen Unterwegsseins teilen
- geistliche Unterscheidung
- gemeinsam beraten, entscheiden und entschieden handeln.
Genau diese Begriffe haben mich ermutigt, in der Bibel diesen Weg der Erneuerung und Umkehr zu finden. Die Stelle im Johannesevangelium, wo der Auferstandene als Erster Maria Magdalena begegnet, zeigt meines Erachtens Schritte auf, die für uns alle gangbar sind. Und so möchte ich Sie heute mitnehmen, sich von den Dialogen, die in dieser Szene geführt werden, berühren zu lassen. Mit den hier gestellten Fragen, lenke ich den Blick stärker auf bzw. in die Kirche hinein.
Hören wir nun in den Text aus dem Johannesevangelium hinein:
1 Am ersten Tag der Woche kam Maria von Magdala frühmorgens, als es noch dunkel war, zum Grab und sah, dass der Stein vom Grab weggenommen war. 2 Da lief sie schnell zu Simon Petrus und dem anderen Jünger, den Jesus liebte, und sagte zu ihnen: Sie haben den Herrn aus dem Grab weggenommen und wir wissen nicht, wohin sie ihn gelegt haben. 11Maria aber stand draußen vor dem Grab und weinte. Während sie weinte, beugte sie sich in die Grabkammer hinein.12 Da sah sie zwei Engel in weißen Gewändern sitzen, den einen dort, wo der Kopf, den anderen dort, wo die Füße des Leichnams Jesu gelegen hatten. 13 Diese sagten zu ihr: Frau, warum weinst du? Sie antwortete ihnen: Sie haben meinen Herrn weggenommen und ich weiß nicht, wohin sie ihn gelegt haben. 14 Als sie das gesagt hatte, wandte sie sich um und sah Jesus dastehen, wusste aber nicht, dass es Jesus war. 15 Jesus sagte zu ihr: Frau, warum weinst du? Wen suchst du? Sie meinte, es sei der Gärtner, und sagte zu ihm: Herr, wenn du ihn weggebracht hast, sag mir, wohin du ihn gelegt hast! Dann will ich ihn holen. 16 Jesus sagte zu ihr: Maria! Da wandte sie sich um und sagte auf Hebräisch zu ihm: Rabbuni!, das heißt: Meister. 17 Jesus sagte zu ihr: Halte mich nicht fest; denn ich bin noch nicht zum Vater hinaufgegangen. Geh aber zu meinen Brüdern und sag ihnen: Ich gehe hinauf zu meinem Vater und eurem Vater, zu meinem Gott und eurem Gott. 18 Maria von Magdala kam zu den Jüngern und verkündete ihnen: Ich habe den Herrn gesehen. Und sie berichtete, was er ihr gesagt hatte.
Johannesevangelium Kapitel 20, 1-2.11-18
Johannes erzählt, dass Maria von Magdala die Erste ist, die ans Grab läuft. Sie wird im Johannesevangelium als Brückenbauerin vom Karfreitag unter dem Kreuz stehend bis hin zu Ostern beschrieben. Im Blick auf unsere derzeitige Situation in der Kirche, die eher dem Karfreitagsgefühl nahekommt, wollen wir uns von Maria Magdalena begleiten lassen, welche Schritte wir daraus hin in eine österliche Kirche gehen können.
Die erste Frage, mit der wir uns beschäftigen wollen, lautet: „Warum weinst du?“
Maria Magdalena schaut ins leere Grab hinein und sieht zwei Engel. Die Engel fragen sie: „Warum weinst du?“
Wenn ich auf bzw. in die Kirche als Institution schaue,
- worüber weine ich?
- wo blicke ich in ein dunkles, leeres Grab?
- wo stehe ich und was ist mein Impuls? Wegrennen, aushalten, weinen, schreien, umdrehen, …?
Wir haben allen Grund, mit Maria zu weinen, wenn wir auf unsere derzeitige innerkirchliche Situation schauen. Wir weinen mit den Betroffenen, über deren erfahrenes Leid im Missbrauch jeglicher Form. Wir weinen darüber, wie viele Berufungen brachliegen, weil die derzeitigen kirchenrechtlichen Strukturen, diesen Ruf nicht annehmen lassen. Wir weinen, weil viele Menschen aufgrund ihrer sexuellen Orientierung oder Brüchen in ihren Lebensentwürfen, von Sakramenten ausgeschlossen sind und nicht die volle Teilhabe an der communio erhalten. Ja, wir weinen und trauern und schauen in die Dunkelheit und Leere, die dieses ‚Schauen‘ bei uns hinterlässt. Vielleicht trauern wir einer Kirche nach, von der wir schmerzlich enttäuscht worden sind. Zur Trauer gehört auch das Gefühl, allein zurück geblieben zu sein, die Welt nicht mehr zu verstehen, vielleicht auch Ratlosigkeit über das Unbegreifliche. Nur wer die Trauer mit allen Facetten zulässt, kann weitere Schritte bewusst gehen.
Und so lassen wir uns von Jesus fragen: „Wen suchst du?“
Diese Frage sind die ersten Worte Jesu, die er im Johannesevangelium in Kapitel 1,38 an die Johannesjünger richtet, die ihm nachfolgen. Als Auferstandener richtet er seine ersten Worte mit der gleichen Frage nun an Maria.
Wenn ich auf bzw. in die Kirche als Institution schaue,
- wonach suche ich in meiner Kirche?
- Bin ich dies schon mal in meiner Kirche / meiner Gemeinde gefragt worden: ‚Wen suchst du‘?
Wir dürfen uns von Gott immer wieder fragen lassen: Wen suchst du? / Wen sucht ihr? Die Haltung auf der Suche zu sein und vor allem auch zu bleiben und damit nie zu Ende zu kommen mit unseren Fragen, ist eine weitere Grundhaltung, die wir Christen uns zumuten lassen dürfen. Es lässt uns unser Gewohntes unterbrechen, aus der Suchbewegung heraus auch mal innehalten, uns in eine hohe innere Präsenz einlassen, wahrnehmen, dass wir nicht alleine sind, aufeinander hören und innerlich so beweglich bleiben, dass wir bereit sind, uns IHM zuzuwenden, ggf. auch umzuwenden, umzukehren. Im Suchprozess schärft sich unser Hören – Lauschen – Nachsinnen – Aufeinander hören – auf Gottes Wort hören.
Bischof Overbeck hat dies bei der 3. Synodalversammlung in der vorgeschalteten Aussprache zum Thema Verantwortungsübernahme so formuliert: „Die derzeitige Situation der Kirche zeigt: Wir leben in einer entscheidenden Existenzkrise. Das, was wir in diesen Tagen tun, ist daher von entscheidender Bedeutung – es ist wie das Eintreten in eine Achsenzeit der Kirche. … Es ist eine Frage an unser Gewissen, wie wir lebendige Kirche in Deutschland sein wollen, in Verbindung mit der Weltkirche und dem Papst, aber zugleich auch so, dass Menschen uns daran erkennen, als die, die Gott suchen, in dem sie die suchen, die zu den Verlorenen, zu den Nicht-Beachteten und zu denen gehören, denen wir heute alle Achtung schulden und das sind Viele.“
Das dritte Wort, das wir betrachten lautet: „Sie haben meinen Herrn weggenommen…“
Maria von Magdala sagt dreimal fast den gleichen Satz: „Sie haben meinen Herrn weggenommen und ich weiß nicht, wohin sie ihn gelegt haben.“ (Joh 20, 2b, 13b, 15b)
Das zeigt, dass Maria von Magdala nach dem Jesus ihrer Erfahrungen und ihrer gemeinsamen Erlebnisse sucht. Sie hat die Vorstellung, dass jemand den Leichnam Jesu weggenommen und woanders hingelegt hat. Diese Vorstellung ist so manifest, dass sie sie dreimal wiederholt, bis ihr klar wird, dass sie auf diese Vorstellung keine Antwort erhalten wird.
Wenn ich auf bzw. in die Kirche als Institution schaue,
- wo legen mich meine eigenen Erwartungen und Vorstellungen, wie sich Kirche zu verändern hat, fest?
- kenne ich das Empfinden, dass mir der Blick auf Jesus (durch wen auch immer) verstellt ist?
Wie manifest unsere Vorstellungen sein können, zeigt Maria Magdalena, indem sie dreimal vom ‚Weggenommenen‘ spricht. Auch wir müssen unsere Vorstellungen hinter uns lassen und das ist vermutlich der schwierigste Schritt. Die eigenen Vorstellungen, wie der persönliche Lebensweg auszusehen hat, kann Entwicklung massiv behindern. Auf die Kirche übertragen, können viele Vorstellungen und das Festhalten an Altem und Bekanntem echte Wandlung verhindern. Bischof Bode hat bei der Einführung in den Grundtext des Frauenforums genau darauf hingewiesen und die Synodalen aufgefordert, ihre Vorstellungen mal hinter sich zu lassen und mutig Neues zu denken. Welche Gestalt und Form von Kirche will Jesus, der Auferstandene uns hier und jetzt zeigen? Sind wir offen und bereit für die Art und Weise, wie sich Jesus hier und heute offenbaren will? Würden wir IHN erkennen oder wären unsere Vorstellungen so hartnäckig, dass ER nicht zu uns durchdringen kann? Das ist schon ein herausfordernder Schritt – alle Vorstellungen loslassen.
Das vierte Wort lautet schlicht: „Maria!“ – Da wandte sie sich um
Maria von Magdala wandte sich nach dem Gespräch mit den Engeln um und sieht durch ihre tränenverschleierten Augen nur die Umrisse eines Menschen und denkt es sei der Gärtner und erkennt Jesus in ihrer Trauer zunächst auch nicht an seiner Stimme. Ihre Wahrnehmung ist nach innen gekehrt, in der Trauer festgehalten.
Erst als der auferstandene Jesus sie beim Namen ruft, erkennt sie ihn, wendet sich noch mehr ihm zu und sagt „Rabbuni, Meister“. Ihre Suche nach Jesus erfüllt sich, aber in ganz anderer Weise. Die Wiedererkennung geschieht im Angesprochenwerden durch Jesus mit dem eigenen Namen. Angesprochen von Jesus, vollzieht Maria nach der äußeren Kehrtwende nun eine innere Kehrtwendung.
Wenn ich auf bzw. in die Kirche als Institution schaue,
- was brauche ich, um mich aus meiner Trauer über das Bild der Kirche herauszulösen?
- Wo fühle ich mich in meiner Kirche / meiner Gemeinde angesprochen?
- Welche Bewegung (in der Kirche) täte mir gut, um mich dem Ruf Jesu ins Leben zu öffnen?
Wie Maria, können wir mit tränenverschleierten Augen oft nur die Umrisse eines Menschen erkennen. Durch das ‚mit Namen angesprochen werden‘ und den liebenden Blick, geschieht echte Hinwendung und Wandlung zu IHM. Er zieht uns an sich. In diesem tiefen Berührtsein wächst Verantwortung für das Leben im näheren und weiteren Umfeld. Maria braucht ein zweites Umwenden, um zu erkennen, was wahrhaftig real jetzt geschieht. Es geschieht Be-RUF-ung. Und dies geschieht ganz unabhängig vom Geschlecht. Vor allem durch die Beiträge von uns Ordensleuten auf der Synodalversammlung, wurde der Blick auf die vielen verlorenen Berufungen gelenkt, weil die Kirche diese Berufungen nicht annimmt. Wir beten oft um geistliche Berufungen. Könnte es sein, dass Gott unsere Bitten erhört hat, aber diese Berufungen, weil sie an Frauen ergangen sind, nicht gelebt werden dürfen? Für viele Bischöfe war dies nicht vorstellbar. Erst auf das Buch ‚Weil Gott es so will‘, von Sr. Philippa Rath OSB, haben einige Bischöfe berufene Frauen zu Gesprächen eingeladen – doch es ist noch ein weiter Weg, bis „die Geweihten“, die Weihe von Frauen ermöglichen werden.
Das 5. Wort, das wir bedenken, sagt Jesus zu Maria: „Halte mich nicht fest!“
Jesus zeigt Maria deutlich auf, dass sie nicht über ihn verfügen kann, er ist unverfügbar. Er geht zu Gott, seiner und unserer Quelle des Lebens. Alles „Wie“ und „Wo“ und „Warum“ tritt dahinter zurück und ist so unbegreiflich und unverfügbar wie Gott selbst. Wir können nicht(s) „festhalten“.
Wenn ich auf bzw. in die Kirche als Institution schaue,
- wo höre ich Jesus diesen Satz „Halte mich nicht fest“ zu uns als Kirche sprechen?
- wo legen wir ihn fest, dass er uns dieses „Stopp-Schild“ zeigt?
- was löst die Unverfügbarkeit über Gott und sein Wirken in der Kirche in mir aus?
Das ist schwer auszuhalten! Was heißt dieser Satz „Halte mich nicht fest“? Was ist von uns verlangt als Kirche? Es ist der echte Blickwechsel, der von uns verlangt wird. Der Blick, der nicht mich und uns zum Mittelpunkt hat, sondern Gott. Mein Ordensgründer Vinzenz von Paul hat sich oft gefragt, „Was würde hier und jetzt Jesus an meiner Stelle tun“, bevor er auf eine Not, die er sah, reagierte. Das Bild, das wir uns von Gott und seinem Wirken machen, hindert uns, ihm wirklich zu begegnen. Wir müssen ganz radikal unseren Blickwinkel loslassen, uns umwenden, uns so zu Gott hinwenden, dass wir erkennen können, welche Botschaft er für uns hat. Hier werden wir auch um die Gabe der Unterscheidung bitten müssen, damit wir erkennen, was ist unser Wille und was ist Gottes Wille. Sowohl in den Foren, als auch in der Synodalversammlung kommen wir oft an diesen Punkt, wo wir darum ringen, was jetzt der Wille Gottes ist. Aber es tut auch gut zu spüren, dass wir von Mal zu Mal wirklich gemeinsam auf dem Weg sind.
Das letzte und entscheidende Wort Jesu in diesem Abschnitt lautet: „Geh zu meinen Brüdern und sag ihnen…“ „Ich habe den Herrn gesehen!“
Jesus sagt: Halte mich nicht fest!, denn ich bin noch nicht zum Vater hinaufgegangen. Geh aber zu meinen Brüdern und sag ihnen: Ich gehe hinauf zu meinem Vater und eurem Vater, zu meinem Gott und eurem Gott.“ Sie kam zu den Jüngern und verkündete ihnen: „Ich habe den Herrn gesehen.“ (Joh 20,17f)
Jesus sendet Maria zu ihren Brüdern und Schwestern, er gibt ihr einen Sendungsauftrag, einen Verkündigungsauftrag. Sie wird die erste Botin der Osterbotschaft. Sie kommt dadurch in Bewegung, weil sie weitersagen soll, was sie gehört und gesehen hat.
Wenn ich auf bzw. in die Kirche als Institution schaue,
- gibt es Orte, an denen wir uns über unsere Erfahrungen im Glauben austauschen und aufeinander hören können, aus welcher Hoffnung wir leben, die uns trägt?
- sind wir hoffnungsvolle Auferstehungs-Christen?
- haben wir unsere Blickrichtung wirklich gewendet, ganz auf Gott hin oder dreht sich weiterhin vieles um uns selbst? Welche Sendung nehmen wir von Gott her wahr und was lässt uns ins Handeln kommen?
Nur wer gelernt hat, den Blick ganz von sich weg, auf Jesus hinzuwenden, sich auf seine Sichtweise einzulassen, kann die Sendung wahrnehmen, zu der ER ruft. Wohin sendet Jesus uns HEUTE? Was gibt ER uns heute auf den Weg?
Im Beisammenbleiben, gemeinsamen Beten und Austauschen ihrer Auferstehungserfahrungen, machen die Jüngerinnen und Jünger die Erfahrung, dass Jesus durch verschlossene Türen zu ihnen hindurchdringen kann. Auch wir stehen in der Gefahr, dass wir aus Mutlosigkeit, aus Traurigkeit, aus Hoffnungslosigkeit und Angst, unsere inneren und äußeren Türen verrammeln und die Sendung, die uns für diese Welt aufgetragen ist, nicht wahrnehmen. Im gemeinsamen Teilen ihrer jeweiligen Auferstehungs-Erfahrungen, werden die Jüngerinnen und Jünger zu glaubwürdigen Zeuginnen und Zeugen, die langsam ihre Angst verlieren, als ihnen der Heilige Geist zur Stärkung gesandt wird. Lassen wir uns von ihrem Beispiel ermutigen und uns zu neuen Formen von communio anregen, die getragen sind vom gemeinsamen Hören auf das Wort Gottes, gemeinsames Beten und Mahl halten, einander zuhören, uns wahrhaft begegnen und miteinander unterwegs sein, gemeinsam zu beraten, zu entscheiden und auch entschieden zu handeln. Wir alle, die wir in der Taufe und Firmung zu Berufenen und Gesandten geworden sind, sollen von der Hoffnung verkünden, die uns trägt, hält und mutig neue Schritte gehen lässt.
Sr. Nicola Maria Schmitt, Vinzentinerin, Stuttgart
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