Auch wenn die Weisheit vom Weg als Ziel auf keinen Geringeren als Konfuzius zurückgehen soll – biblisch ist sie unhaltbar!
Für diesen Monat sei nur ein Zeuge ins Feld geführt: der Evangelist Lukas. Er steht besonders als“ Pate“ für das von Papst Franziskus ausgerufene „Jahr der Barmherzigkeit“ (vgl. Lk 6,36 „Werdet barmherzig, wie euer Vater barmherzig ist“). Zugleich bestimmt sein Evangelium das Lesejahr im Sonntagsgottesdienst der katholischen Kirche.
Des Lukas Besonderheit: Er nimmt das Thema „Weg“ in den Blick wie kein anderer. Von Kapitel 8 – 19 nimmt er sich Zeit, Jesus auf dem Weg, der in Galiläa am See Genesaret seinen Ausgangspunkt nimmt, zu „begleiten“. Das Ziel wird dabei deutlich markiert: Jerusalem (9,51). Dies gilt übrigens nicht nur für Jesus, sondern auch für die Jünger. Weglaufen gilt nicht, wie die Emmausgeschichte zeigt (Lk 24,13.33).Auch hier ist weder der Weg das Ziel noch die Zwischenstation Emmaus.
Das eigentliche Ziel des Weges nennt Lukas an anderer Stelle: Es ist letztlich das ewige Leben, nach dem ein Gesetzeslehrer bei Jesus anfragt, um seine Antwort mit dem Gleichnis vom barmherzigen Samariter zu erhalten Lk 8,25.30-35). Ganz konsequent wird „Anführer zum Leben“ auch ein Titel für Jesus, den nur Lukas bietet. Apg 3,15.
Zu diesem Weg macht Lukas, genauer: Jesus im Lukasevangelium, allerdings sehr unbequeme Anmerkungen, die in einer Art Vier-Strophen-Text in Lk 9,51-62 nachzulesen sind.
Die erste Strophe (VV 51-56) enthält einen Weg-Befehl Jesu für die Jünger: „Ad Samaritanos!“ „Auf zu den Samaritern!“ Die Verbreitung der Botschaft soll dort beginnen, wo es am schwierigsten ist und wo man sich eher fremd fühlt. Aus meinem Studium habe ich u. a. in Erinnerung behalten, dass es einmal um den französischen Psychiater und Freud-Interpreten Jacques Lacan ging, der als. Eigenart des Menschen die ständige Suche nach der „mêmeté“ herausstellt, was man mit „Selbigkeit“ übersetzen könnte. Tendenziell ist der Mensch am liebsten unter seinesgleichen; bei denen, die genau so oder ähnlich ticken wie er selbst. Dort ist das Leben am wenigsten anstrengend. Genau diesen Weg aber zeichnet Jesus nicht auf unsere Lebensweg-Wanderkarte. Verkündigung dort, wo man eher auf ganz anders Gesinnte trifft, lautet die Maxime. Und wie meint Papst Franziskus zu unserem Verkündigungsauftrag: „Zur Not kann die Verkündigung auch mit Worten geschehen.“
Die zweite Strophe (VV 57-58), die von der fehlenden Möglichkeit spricht, das Haupt zu betten (der auf dem bereits sehr unbequemen Fluchtweg sich befindende Jakob aus Gen 28,11 winkt von Ferne!) und damit jemanden erschreckt, der sich gerade mit Jesus auf den Weg machen will, sagt deutlich: Der Weg von Christinnen und Christen ist nichts für Nesthocker und Höhlen-Rückzügler.
Dann will einer vor der Wegaufnahme mit Jesus erst noch seinen Vater beerdigen VV 59-60). Wer könnte ihn nicht verstehen! Viel unverständlicher ist der Rat Jesu, die Toten doch ihre Toten begraben zu lassen. Man könnte geradezu meinen: eine Unverschämtheit. Ich empfehle dazu die Lektüre von Dostojewskis Erzählung „Der Spieler“: Eine im Spiel reich gewordene Dame will mit dem tagsüber in Baden-Baden gewonnenen Geld zur Rettung der Familie zurück nach Moskau reisen. Doch: Eine anständige Frau fährt nicht nachts alleine im Zug! So will sie die Nacht abwarten. Da überkommt sie erneut der Spieltrieb. Sie geht ins Hotel und verliert alles. Ja, die vielen Tränen bei der Beerdigung des Vaters könnten den Fragesteller abhalten, nach der Beerdigung zu Jesus zurückzukehren. Trauer kann die Aufbruchseuphorie narkotisieren. So rät Jesus zum Tabubruch. Auch der kann also zum Weg gehören. Der Weg des Christseins ist nichts für die immer nur „Konventionellen“, für die nur erlaubt ist, „was man so tut“.
Die letzte Strophe (VV 61-62) mit dem berühmten Wort, dass man mit der Hand am Pflug nicht zurück, sondern nach vorne blicken sollte, macht deutlich: Christsein ist auch nichts für „Retro-Visualisten“. Der ständig Zurückblickende ruht sich entweder auf seinen Lorbeeren aus oder gerät ins Schwärmen über die „goldenen Zeiten“ von früher, die mit der Klage über die Schlechtigkeit oder gar Aussichtslosigkeit der Gegenwart einhergeht. Beides lähmt und kann am Aufnehmen des Weges hindern – und damit auch am Erreichen des Ziels.
Der Weg ist nicht das Ziel! Bei Lukas lautet die Botschaft vielmehr: Der Weg kann sehr anstrengend sein, aber das Ziel lohnt: Ewiges Leben nennt er es. Und bis dahin gibt es durchaus auch Angenehmes, wenn man die Widrigkeiten aushält. Die Samariter, zu denen Jesus die Jünger gesandt hatte, lehnten den Besuch deutlich ab. Die Jünger hätten gerne eine Vernichtungsstrafe Gottes über diese so anders tickenden Samariter herabgerufen. Jesus fährt sie an, wie er sonst Satan anfährt. Aushalten der Fremde und Fremdartigkeit ist das Gebot. Dann kann etwas wachsen. Und siehe da: Einige Kapitel später kommt als einziger von 10 Geheilten ausgerechnet ein Samariter zur Dankesbekundung zu Jesus zurück. Fast wäre er zum Opfer des fromm klingenden Strafgerichts-Wunsches der Jünger geworden. Den Weg gehen heißt eben auch, den anderen nicht den Weg abschneiden. Das Ziel gilt allen!
Gunther Fleischer, Köln