Im Licht sein

So sehr hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen Sohn gab, damit jede und jeder, der an Gott glaubt, nicht verloren gehe, sondern ewiges Leben hat.

Joh 3,(15)16-21

Der nächste Satz im Johannesevangelium lautet:  

Gott schickte seinen Sohn nicht in die Welt, damit er richtet, sondern damit die Welt gerettet wird. Und: Wer an ihn glaubt, wird nicht gerichtet!

Im Gegenteil wir sind Söhne und Töchter des Lichts. Das ist nichts, was erst irgendwann sein wird. Jetzt und heute gilt das: Wir sind hell, wir dürfen leuchten, wir haben Christus angezogen, in uns ist Licht und Wärme und Liebe. Wir dürfen strahlen.

Das Johannesevangelium ist sehr radikal. Entweder im Licht oder im Finstern. Sind wir bei und in Christus, sind wir im Licht. Es geht um eine Entscheidung. Wo will ich sein? Worauf bin ich ausgerichtet? Von wo lasse ich mich anziehen?
Heute weiß man aus vielen Forschungen, dass wir sehr viel Einfluss darauf haben, wie wir in der Welt sind. Lasse ich mich überfluten von negativen Gedanken? Fühle ich mich all den finsteren Schatten ausgeliefert? Lasse ich zu, dass sich Ängste, Hass und Sorgen in mir ausbreiten?

Ich meine das nicht moralisch, sondern ganz praktisch. Was ich denke und fühle, kann ich steuern. Ich kann mich von jedem Gedanken und jedem Gefühl, distanzieren – aha, ein Gedanke – aha ein Gefühl – und was mache ich jetzt damit? Darf dieser Gedanke mein Leben jetzt leiten? Oder denke ich lieber was anderes? Darf sich dieses Gefühl, z.B. von Hoffnungslosigkeit, jetzt ausbreiten – oder setze ich etwas anderes dagegen. Z.B. ein Gebet, eine gute Erinnerung, eine Zeile aus einem guten Lied …

Ich glaube, das ist die wichtigste Kraft, die wir aus dem Glauben heute haben können: Die Praxis, uns immer wieder darauf auszurichten, das Gute wahrzunehmen. Das Licht zu sehen: Die Freundlichkeit der Nachbarin – sehe ich in ihr das Licht Christi? Die Entschiedenheit für die Freiheit anderer auch das eigene Leben zu geben – wie es zum Beispiel Herr Nawalny getan hat!

Er werde »über Gott und Erlösung reden. … « so sagte Nawalny 2021 vor dem Richter. Er sei ein gläubiger Mensch, auch wenn das nicht immer so gewesen sei und manche seiner Mitstreiter darüber spotteten. Aber der Glaube »hilft mir in meiner Tätigkeit, weil alles viel, viel einfacher wird«, sagte er. »Selig sind, die hungern und dürsten nach Gerechtigkeit, denn sie sollen satt werden«, zitierte Nawalny aus der Bergpredigt. Das möge exotisch und seltsam klingen, aber die Überzeugung, dass sich am Ende die Wahrheit durchsetze und der Durst nach Gerechtigkeit gestillt werde, sei im Grunde die wichtigste politische Idee Russlands.

Dabei … richtete er seine Worte nicht – wie in früheren Verhandlungen – gegen Wladimir Putin, sondern auf das bessere, gerechtere, wohlhabendere Russland, das ihm vorschwebe. Statt vom Präsidenten sprach er von Renten, Lebenserwartung, Löhnen. »Russland wird frei sein«, dieser Slogan der Opposition komme ihm mittlerweile ungenügend vor, sagte Nawalny. »Wir sind ein sehr unglückliches Land. Wir sind vom Unglück umgeben und können uns nicht daraus befreien. Deshalb schlage ich vor, den Slogan zu ändern. Russland muss nicht bloß frei, es muss auch glücklich sein. Russland wird glücklich sein.«

Herr Nawalny hat entschieden, im Licht zu sein. Sich nicht zu ängstigen, nicht aufzugeben, sondern die Wahrheit groß sein zu lassen. Die Wahrheit, dass die Welt im Licht sein darf.

„Unsere tiefste Angst ist nicht, dass wir unzulänglich sind.

Unsere tiefste Angst ist, dass wir unermesslich machtvoll sind.

Es ist unser Licht, das wir fürchten, nicht unsere Dunkelheit.

Wir fragen uns: Wer bin ich eigentlich, dass ich leuchtend, hinreißend, talentiert und fantastisch sein darf?

Wer bist du denn, es nicht zu sein?

Du bist ein Kind Gottes.

Dich selbst klein zu halten, dient der Welt nicht.

Es hat nichts mit Erleuchtung zu tun, wenn du dich kleiner machst, damit andere um dich herum sich nicht verunsichert fühlen.

Wir sollen alle strahlen wie die Kinder.

Wir wurden geboren, um die Herrlichkeit Gottes zu verwirklichen, die in uns ist.

Sie ist nicht nur in einigen von uns; sie ist in jedem Einzelnen.

Und wenn wir unser eigenes Licht erstrahlen lassen, geben wir unbewusst anderen Menschen die Erlaubnis, dasselbe zu tun.

Wenn wir uns von unserer eigenen Angst befreit haben, befreit unsere Gegenwart andere ganz von selbst.”

(Marianne Williamson aus ihrem Buch „Rückkehr zur Liebe“ (2016). Sehr oft wird der Text Nelson Mandela zugeschrieben, der ihn angeblich in seiner Antrittsrede zitiert hätte.)

Das genau ist, woran man erkennen kann, wer im Licht ist.

(…)

Und genau darum geht es im Evangelium. Vielleicht üben Sie es das mal eine Woche lang.

Wenn Sie sich ertappen bei finsteren Gedanken – summen Sie ein Lied. Wenn Sie sich ärgern, über sich selbst oder andere – probieren Sie es mit liebevoller Wertschätzung und denken Sie daran: Ihr seid das Licht der Welt.  Amen

Gekürzte Fassung der Predigt am 10. März 2024 im südlichen Strohgäu (Nähe Stuttgart) von Dr. Katrin Brockmöller, Geschäftsführende Direktorin des Kath. Bibelwerkes e.V. Stuttgart

Mohn und Stern(e)

Ich bin dran, einen Beitrag zu diesem Blog zu verfassen, und mir fällt nichts ein. Die Deadline ist längst verstrichen. Mir fällt nichts ein. Die Bibel hat so viele Themen, sie deckt ein ganzes Leben ab, aber mir widerstrebt es, ein zufälliges Thema zu wählen.
Dann kam Esther. Am Faschingsdienstag wurde sie geboren, das dritte Kind von Freunden aus meiner Pfarrei. Sie sollte eigentlich zwei Tage später kommen, aber sie schien zu wissen, dass der ihr zugedachte Name etwas mit dem Fasching zu tun hat. Nicht mit dem christlichen Fasching, der als Karneval (carne vale) ein letztes Aufflammen der „Fleischeslust“ vor den „heiligen vierzig Tagen“ der Fastenzeit inszeniert, sondern mit dem jüdischen „Fasching“, Purim, bei dem sich jüdische Gläubige ebenfalls verkleiden und ausgelassen feiern. Purim – das Wort stammt vom hebräischen Wort pur, „Los“ oder „Schicksal“ – erinnert an die Rettung des jüdischen Volkes aus drohender Vernichtung. Die Geschichte dieser Rettung wird im alttestamentlichen Buch Ester erzählt.
Das Esterbuch gehört zu den fünf Megillot, den „Festrollen“, die in der Hebräischen Bibel zu den „Schriften“ zählen. Im christlichen Kanon wird es als „Geschichtsbuch“ gelesen, aber die Handlung der Esterrolle bezieht sich nicht auf ein konkretes historisches Ereignis, sondern erzählt exemplarisch von der immer wieder aufflammenden Feindschaft gegen das jüdische Volk. Sie ist fiktiv, Literatur.
Im Mittelpunkt steht Ester, die als Exiljüdin zusammen mit ihrem Cousin Mordechai in Persien lebt. Sie betritt die Bühne, nachdem Waschti, die junge Frau des despotischen Herrschers Artaxerxes, sich weigert, zum Objekt königlicher Machtdemonstration degradiert zu werden. Der König schäumt vor Wut, sucht sich einen Ersatz. Die Wahl fällt auf die schöne Ester, deren jüdische Herkunft zu diesem Zeitpunkt noch nicht bekannt ist.
Als der Großwesir Haman, eifersüchtig und machtbesessen, die öffentliche Unterwerfung aller Juden fordert, sehen sich Mordechai und Ester vor eine schicksalhafte Entscheidung gestellt: ihre jüdische Identität und damit ihren Gott zu verraten oder in den Tod zu gehen. Ester riskiert im entscheidenden Moment ihr Leben, als sie ungefragt vor den König tritt und um Gnade für ihr Volk bittet. Ihr Mut wird belohnt. Am Ende hängt Haman an jenem Galgen, der er für Mordechai hatte errichten lassen.
In der hebräischen Fassung der Schrift kommt (anders als in der späteren griechischen) der Gottesname nirgendwo vor. Offenbar war man davon überzeugt, dass Gott auch dann gegenwärtig ist, wenn man ihn nicht unmittelbar erkennt. In der Ester-Erzählung wirkt er durch Ester.
Ich habe Hamantaschen gebacken, für Esthers Eltern und Geschwister. Die dreieckigen mit Mohn oder Fruchtmus gefüllten Teigtaschen werden am jüdischen Purimfest gegessen. Was sie mit dem Bösewicht Haman zu tun haben sollen, ist nicht ganz geklärt, aber sie schmecken lecker, nicht nach Verfolgung, sondern nach Leben und Freude.
Über dem Leben der kleinen Esther steht diese Geschichte der biblischen Ester als „Mitgift“ und Inspiration sozusagen. Esther ist nicht Jüdin, sondern katholisch, aber das Alte Testament steht, zusammen mit dem Neuen Testament, auch über dem Leben von Christen.
Was kann die biblische Ester einer katholischen Esther mit ins Leben geben? Die biblische Ester hat eine Identität und innere Freiheit. Sie ist loyal, lässt sich aber von der Macht nicht beeindrucken. Sie ist schön, klug – und vor allem mutig. Auf sie kommt es an.
Wahrscheinlich würden Esthers Eltern das heute schon sagen: Auf sie kommt es an. Sie ist nicht zufällig auf der Welt. Und spätestens wenn sie Hamantaschen essen kann, werden ihre Eltern ihr sicher auch die Geschichte ihrer Namenspatronin erzählen. Ihr Name stammt vermutlich von einem altiranischen Wort ab und bedeutet: Stern. In der jüdischen Tradition heißt sie „Hadassa“, Myrte.
Ach ja, das jüdische Purimfest ist in diesem Jahr weit vom christlichen Fasching entfernt. Es findet am 24. März statt, dem christlichen Palmsonntag. Den erreicht dieser Beitrag noch.

Andrea Pichlmeier

Die Zukunft Abrahams – Inspirationen durch ein Bild Rembrandts

Im Kunsthaus Avantgarde in Apolda findet derzeit (bis Ende April) eine vielbeachtete Ausstellung von Werken Rembrandts statt. 80 Radierungen, einige bekannt, viele eher unbekannt und selten, können dabei besichtigt werden. Nach dieser Ausstellung werden viele der Exponate wieder für viele Jahre in den Magazinen eingelagert werden, damit sie nicht zu lange dem Licht und wechselnden Temperaturen ausgesetzt sind. Mehrfach biete ich zu dieser Ausstellung, gemeinsam mit einem Künstler vor Ort, Führungen unter dem Titel „Kunst und Bibel“ an.

Rembrandt hat, neben vielen Landschaftsbildern und Selbstportraits (aka „Selfies“) auch eine große Anzahl biblischer Darstellungen geschaffen – einige davon sind auch in Apolda zu sehen. Darunter sogar einige durchaus seltene Szenen, wie der „Triumph des Mordechai“, „Josef und die Frau des Potiphar“ oder auch „Die Heimkehr des Tobias“. Bei seinen biblischen Darstellungen zeichnen Rembrandt, aus meiner Sicht, zwei besondere Merkmale aus: einmal versucht er die biblischen Texte sehr genau wieder zu geben, ohne zu viel hinein zu interpretieren. Zum zweiten sind seine dargestellten biblischen Personen nicht halbgottgleich gezeichnet, sondern so, wie sie ihm auf der Straße begegnet sind – Menschen mit Fehlern und in all ihrer Unvollkommenheit also.

Besonders lange bleiben wir bei den Führungen bei der „Das Opfer Abrahams“ stehen.

https://www.alamy.de/stockfoto-das-opfer-abrahams-radierung-rembrandt-1606-1669-betont-abrahams-horror-an-was-er-glaubt-er-bestellt-wurde-und-seine-betaubt-relief-an-der-unterbrechung-dieses-moment-des-schreckens-durch-das-gesicht-des-engels-rembrandts-gemalde-der-opferung-isaaks-in-der-eremitage-hangt-vom-1635-90828121.html

Die bildhafte Wiedergabe von Gen 22, einem Text, der für viele Menschen spannungsreich ist und durchaus auch mit einer Triggerwarnung versehen werden könnte. Als Rembrandt diese Radierung 1655 schuf, hatte er selbst schon ein bewegtes Leben hinter sich und musste bereits seinen Sohn beerdigen. Erfahrungen, die sich im Bild, im vor Kummer verzerrten Blick des Abraham widerspiegeln, aber auch in seiner rechten Hand. Die hier, nicht wie bei anderen bekannten Darstellungen dieser Szene, das Messer hält, sondern den Sohn, beinahe liebevoll. Er drückt den Sohn nicht nach unten, sondern hält ihm, wie schützend, die Hand vor Augen. Und, und hier legt Rembrandt dann doch seine eigene Erfahrung interpretierend ins Bild, „sein“ Isaak ist nicht gebunden, sondern frei. Abraham hält seine Zukunft sprichwörtlich in Händen und vertraut darauf, dass ihm diese Zukunft von Gott, der sie ihm ja zugesprochen hat, nicht genommen werden wird. Bei aller Schwierigkeit, die der Text mit sich bringt, macht Abraham auch die Hoffnung deutlich, die im Text mitschwingt – nicht zuletzt durch den Widder, der rechts schon für das Opfer vorbereitet zu liegen scheint.

Genesis 22 ist als zweite Lesung für die Vigilfeier in der Osternacht  vorgesehen, wird da jedoch oft, ob seines schwierigen Inhalts, weggelassen. Dass das nicht passieren muss, sondern es auch ein Text mit Zukunft, mit Hoffnung ist, das finde ich im Text, wie auch in der Radierung Rembrandts.

Diakon Daniel Pomm, Diözesanleiter des Bibelwerks im Bistum Erfurt

Von der St. Martins-Perspektive zum Bartimäus-Prinzip

Die anderen als Maßstab des eigenen Handelns

In den zehn Jahren, in denen ich mit Sr. Paulis Mels und Dieter Bauer Bibeltexte in Leichte Sprache übertrage, wurde mir v.a. eine wohlbekannte Wundergeschichte im Markusevangelium zum Schlüssel dafür, was inklusive Bibelübertragung bedeutet – und zugleich darüber hinaus weist.

Der blinde Bettler Bartimäus – von dem der Evangelist Markus in seinem Evangelium erzählt (Markus 10,46-52) – hört, dass Jesus in seine Nähe kommt und will unbedingt von ihm wahrgenommen werden. Seine Umgebung versucht ihn zum Schweigen zu bringen. Doch Jesus nimmt ihn wahr und ruft ihn zu sich.

Als der Blinde vor ihm steht, dürfte Jesus schnell klar sein, was dieser will. Die Geschichte könnte also ihren aus anderen Erzählungen bekannten Lauf nehmen: Jesus lobt Bartimäus‘ Glauben und macht ihn sehend. Doch bevor dies am Ende auch tatsächlich geschieht, legt die Erzählung mit einem Kurzdialog einen erzählerischen „Boxenstopp“ ein, der die Perspektive völlig auf den Kopf stellt: „Was willst du, dass ich dir tun soll?“ (Mk 10,51), so fragt Jesus den Bettler.

Auf gleicher Augenhöhe

Diese Frage dreht das Verhältnis zwischen scheinbar behinderter bzw. defizitärer und scheinbar hilfefähiger bzw. helfender Person um. Auch wenn Bartimäus‘ Blindheit offensichtlich ist, lässt sich Jesus nicht dazu verleiten, einfach „loszuheilen“. Sondern er fragt nach, was er (Bartimäus) will, dass er (Jesus) tun soll. Der Blick geht damit nicht, wie oft (und meist in durchaus gut gemeinter Absicht) von oben nach unten, vom Hilfe-Gewährenden zum Hilfe-Bedürftigen – in der Martins-Legende bereits den Kleinsten seit Jahrhunderten plastisch vor Augen gestellt. Der Blick geht stattdessen „auf gleicher Augenhöhe“ vom einen zum anderen. Das Ergebnis dieses Kommunikationsprozesses ist bis zur Antwort auf Jesu Frage völlig offen: Es könnte ja sein, dass Bartimäus gar nicht unbedingt sehen will, sondern viel dringender eine neue Decke für den Winter braucht …

„Was willst du, dass ich tun soll?“ Diese simple Frage ändert alles im Verhältnis der beiden: Bartimäus wird zum Subjekt seiner selbst. Und Bartimäus wird zugleich zum Maßstab des Handelns Jesu. Mit anderen Worten: Die/der andere entscheidet, was ich tue. Die/der andere bestimmt, was sie/er braucht, will, sucht, auch: fordert. Erst wenn ich das erfragt und erfahren habe, kann ich über mein Handeln nachdenken.

Eine Frage als Kompass fürs Handeln

Letztlich geht dieser Perspektivenwechsel weit über den Bereich der Inklusion hinaus. Er könnte Kompass für individuelles, spirituelles, gesellschaftlich wie kirchlich-pastorales Handeln überhaupt sein: Sich nicht selbstgewiss im Besitz der Wahrheit und des Wissens um die Bedürfnisse und Nöte anderer zu wähnen: „Ich weiß schon, was du brauchst – wenn du kommst, gebe ich es dir.“ Sondern achtsam und mit gleicher Würde die anderen wahrnehmen und nach ihren Sehnsüchten, Bedürfnissen und Erwartungen fragen. Und erst danach nach Wegen zu suchen, auf diese Sehnsüchte, Bedürfnisse und Erwartungen mit dem zu antworten, was ich bieten kann und was mir zur Verfügung steht.

Nach dem Bartimäus-Prinzip handeln heißt: Maßstab meines Handelns im Reich Gottes sind die anderen mit ihren Freuden, Hoffnungen und Nöten (vgl. den Anfang des Dokuments „Gaudium et Spes“ des Zweiten Vatikanischen Konzils).

Oder noch kürzer: Im Zentrum der Kirche steht der Mensch – er entscheidet, was zu tun ist.

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Leicht überarbeitete Fassung eines Beitrags, der ursprünglich in BibelHeute 235 (2023) erschienen ist.

Zum Autor: Claudio Ettl ist stv. Direktor der Akademie Caritas-Pirckheimer-Haus Nürnberg und Mit-Initiator und Verantwortlicher des 2013 gestarteten Projekts „Evangelium in Leichter Sprache“ (www.evangelium-in-leichter-sprache.de)

Foto: „Auf Augenhöhe“ (Copyright Claudio Ettl)

Jesu Kommunikationsverweigerung und ihre Überwindung

Randbemerkungen zur Gesprächskultur in Kirche und Gesellschaft am Beispiel der Begegnung Jesu mit einer heidnischen Frau

Die Geschichte über die Begegnung Jesu mit einer namenlosen kanaanäischen Frau (Matthäus 15,21-28, zugleich das Evangelium des 20. Sonntages im Jahreskreis im Lesejahr A – der Text der Einheitsübersetzung findet sich am Ende des Beitrags) gehört zu den bekannteren Jesuserzählungen der Evangelien. Viele Auslegungen des Textes richten dabei die Perspektive v.a. auf Jesus und heben, durchaus zutreffend, seine durch eine Frau angestoßene „Lernfähigkeit“ hervor: Durch die Kanaanäerin lerne Jesus verstehen, dass seine Sendung nicht nur dem Gottesvolk Israel, sondern allen Völkern gilt.

Misslingen und Gelingen von Kommunikation

Die folgenden Randbemerkungen richten den Fokus dagegen stärker auf die namenlose Frau und bieten ein paar wenige aktualisierende Gedanken, die sich aus einer solchen Verschiebung der Perspektive ergeben: Welche Impulse kann diese Erzählung für heutige Kommunikations- und Diskussionskultur(en) in Kirche und Gesellschaft bieten?

Es ist eine dynamische und durchaus emotionale Geschichte, die Matthäus aus dem Markusevangelium übernimmt und durch kleinere Änderungen und Ergänzungen eigenständig akzentuiert. Ein Seitenaspekt behandelt dabei die Thematik „Misslingen und Gelingen von Kommunikation“, um die es im Folgenden gehen soll.

Jesus: Schweigen als Kommunikationsverweigerung

Sieht man vom ungewöhnlichen Ort der Handlung ab, der außerhalb Israels, also auf heidnischem Gebiet, liegt, ist die geschilderte Ausgangssituation nicht wirklich neu im Evangelium: Jesus zieht umher und wird von Menschen, die ihm begegnen, angesprochen und um Hilfe gebeten. So auch in Matthäus 15 von einer anonym bleibenden kanaanäischen Frau, die von ihrer von einem Dämon gequälten Tochter berichtet und Jesu Erbarmen bzw. Mitleid erhofft.

Überraschend ist dagegen die erste, harsche Reaktion Jesus: er antwortet der Frau nicht mit einem einzigen Wort. Jesus bleibt stumm. Er reagiert nicht auf die Frau, würdigt sie keines Wortes. Jesus schweigt – ein Schweigen, das einer völligen Kommunikationsverweigerung gleichkommt. (Ironischischerweise fordern die Jünger zwar Jesus auf, der Frau zu antworten. Allerdings nicht, damit Jesus mit ihr spricht, sondern damit er sie wegschickt.)

Die Frau: Hartnäckigkeit und geschickte Gesprächsführung

Doch die nichtjüdische („“heidnische „) Frau durchbricht diese “diskursive Verweigerungshaltung” Jesu auf der Beziehungsebene. Zum einen durch ihre Hartnäckigkeit, zum anderen durch eine geschickte Rhetorik und Gesprächsführung.

Ihr erster Kontaktversuch mit dem jüdischen Heiler und Wanderprediger war höflich und wohlüberlegt; sie wählte eine dazu passende, spezifisch jüdische Anrede (“Sohn Davids”). Trotzdem misslingt die Kommunikation, weil sich ihr Gegenüber als direkt angesprochener Kommunikationspartner dem Dialog verweigert.

Bei den weiteren Anläufen, die die namenlose Frau trotz der Frustration des gescheiterten ersten Versuchs unternimmt, ändert sie die Strategie. Aus dem höflich-direkt-informativen Kontaktanbahnungsversuch wird zunächst eine deutlich emotionsgeladenere, fast flehentliche und deutlich reduzierte Bitte: „Herr, hilf mir!“ Dass sie sich Jesus zu Füßen wirft, unterstreicht die Dringlichkeit der Bitte und den Respekt vor Jesus gleichermaßen.

Glaube an Jesus – und an die Realität gelingender Kommunikation

Im weiteren Verlauf der Begegnung steigt die um ihr Kind besorgte Mutter in die Diskussion mit Jesus ein. Dabei greift sie den negativen, sie und andere Nichtjuden pauschal abwertenden Vergleich Jesu von Nichtjuden mit jungen Hunden auf, deutet ihn argumentativ um bzw. führt ihn kreativ fort – und lässt so Jesu Antwortversuch ins Leere laufen. Durch die Klarheit ihrer Argumentation fordert sie zugleich implizit von Jesus ein, als Gegenüber und Kommunikationspartnerin nicht nur gesehen, sondern auch ernst genommen zu werden.

So gelingt der namenlosen Frau am Ende doch, den anfangs abweisend-desinteressiert-sich für nicht zuständig haltenden Jesus in eine Gesprächssituation zu verwickeln (ja beinahe zu zwingen), und damit eine Beziehungssituation zu schaffen, der er sich nicht entziehen kann.

Dieser ausdauernd-hartnäckige Glaube der Kanaanäerin – nicht nur an das Potential Jesu, sondern auch an die Realität gelingender Kommunikation – führt am Ende zum Erfolg: Die Tochter wird vom Dämon befreit.

Kommunikation – unwahrscheinlich, aber möglich

Was kann daraus nun für heutige Gesprächs-, Diskussions- und Konfliktsituationen in Kirche und Gesellschaft folgen?

Vielleicht soviel:

  • Es lohnt sich, „dran“ zu bleiben und hartnäckig zu sein.
  • Das Ziel ist, argumentativ flexibel und kreativ zu agieren und immer wieder Anknüpfungspunkte für Gesprächs- und Kommunikationsmöglichkeiten suchen, und seien sie auch noch so unwahrscheinlich.
  • Zugleich vom eigenen Standpunkt überzeugt bleiben, Achtung und “Augenhöhe” in Diskussions- und Konfliktsituationen einfordern.
  • Den Glauben an die Kommunikations- und Veränderungsbereitschaft der Gesprächspartner:innen nicht (zu schnell) aufgeben.
  • Und, last not least: Vorsicht mit Vergleichen und Bildern als Argumentationsmittel – sie können auch „nach hinten losgehen“ … 😉

Kommunikation mag, frei nach Niklas Luhmann, immer wieder unwahrscheinlich sein – doch sie bleibt möglich.

Der Autor ist Leiter des Katholischen Bibelwerks im Erzbistum Bamberg und stv. Direktor der Akademie CPH Nürnberg.

Foto: Monica Volpin / Pixabay


Der Glaube der heidnischen Frau (Matthäus 15,21-28) in der Einheitsübersetzung

21 Jesus ging weg von dort und zog sich in das Gebiet von Tyrus und Sidon zurück. 22 Und siehe, eine kanaanäische Frau aus jener Gegend kam zu ihm und rief: Hab Erbarmen mit mir, Herr, du Sohn Davids! Meine Tochter wird von einem Dämon gequält. 23 Jesus aber gab ihr keine Antwort. Da traten seine Jünger zu ihm und baten: Schick sie fort, denn sie schreit hinter uns her! 24 Er antwortete: Ich bin nur zu den verlorenen Schafen des Hauses Israel gesandt. 25 Doch sie kam, fiel vor ihm nieder und sagte: Herr, hilf mir! 26 Er erwiderte: Es ist nicht recht, das Brot den Kindern wegzunehmen und den kleinen Hunden vorzuwerfen. 27 Da entgegnete sie: Ja, Herr! Aber selbst die kleinen Hunde essen von den Brotkrumen, die vom Tisch ihrer Herren fallen. 28 Darauf antwortete ihr Jesus: Frau, dein Glaube ist groß. Es soll dir geschehen, wie du willst. Und von dieser Stunde an war ihre Tochter geheilt.

Prophetisch leben wie Hanna und Samuel

Hanna, die Mutter Samuels, ist eine willensstarke Frau. So bezeichnet sie sich selbst vor dem Priester Eli im Heiligtum von Schilo (vgl. 1 Sam 1,15).[1] Eli hält sie für betrunken. Hanna aber ist ganz im Gebet versunken. Sie klagt Gott ihr Leid der Kinderlosigkeit. Dieses Gebet verteidigt sie vor dem Tempelpriester.

Visionen und Auditionen waren zu dieser Zeit selten (vgl. 1 Sam 3,1). Hanna aber wird zur Prophetin. Von Gott hat sie einen Sohn erbeten und nennt ihn Samuel, übersetzt etwa „im Namen Gottes“, gedeutet auch als „Gott hat gehört“. Beide Übertragungen passen gut zum späteren Prophetenleben Samuels. Hanna bezeichnet ihren Sohn zudem als einen, den Gott erbittet. So wie sie um dieses Kind gefleht hat, lässt sie ihn von Gott zurückbitten und bringt den Dreijährigen zum Dienst in den Tempel. „Der Erbetene“ heißt auf Hebräisch „Schaul“. Darin klingt bereits die künftige Wahl Sauls[2] zum König an. Wie oft in der Bibel sind die Namen auch hier Programm für Samuels Leben.

In 1 Sam 2,1-10 singt Hanna vom Ende jeglichen Unrechts: JHWH erhöht die Gedemütigten, hebt die Schwachen aus dem Staub, sättigt die Hungrigen und schenkt den Unfruchtbaren zahlreiche Kinder.[3] Im Schlussvers erwähnt Hanna einen künftigen König als Gesalbten JHWHs. Zu ihrer Zeit gibt es noch kein Königtum in Israel. Unter Samuel wird es aber errichtet. In 1 Sam 2,21 erfahren wir, dass Hanna noch drei Söhne und zwei Töchter bekommen hat. Die Prophetin ist von Gott gesegnet und bestätigt.

Samuel ist Schüler des Priesters Eli im Tempel von Schilo. Auch die Söhne Elis tun hier ihren Dienst. Eli ist alt geworden und seine Söhne nützen ihre priesterliche Vorrangstellung schamlos aus. Nicht verwunderlich, dass sie das Wort Gottes nicht hören und keine Visionen haben (vgl. 1 Sam 3,1). Samuel aber wird mitten in der Nacht von Gott gerufen (vgl. 1 Sam 3,2-10). Auch er kennt die Stimme JHWHs noch nicht. Vermutlich hätte er JHWH zuhause bei seiner Mutter besser kennenlernen können als im Tempel von Schilo.

Samuel ist von Gott berufen. Der Priester Eli soll es als erster erfahren. Keiner von Elis Nachkommen sondern Samuel wird von nun an als Richter und Priester in Israel wirken. Alt geworden erinnert Samuel sein Volk, dass er für Recht und Gerechtigkeit unter ihnen gesorgt hat (vgl. 1 Sam 12,3). Samuels Söhne aber sind nicht nach ihm geraten. Sie verhalten sich ähnlich wie die Söhne des Priesters Eli. Die Geschichte wiederholt sich und das Volk ruft nach einem König. Samuel zeigt auf, was dann geschehen wird: Der König wird die Söhne als Arbeiter und zum Kriegsdienst holen, die Töchter werden für ihn kochen, backen und ihn salben müssen. Die besten Felder, Weinberge und Ölbäume wird er den Leuten wegnehmen und seinen Beamten geben. Der König wird Steuern einheben und das Volk versklaven (vgl. 1 Sam 8,11-17). Gott reagiert ebenfalls pikiert und sagt zu Samuel: „nicht dich haben sie verworfen, sondern mich … Ich soll nicht mehr ihr König sein“ (1 Sam 8,7).

Israel aber proklamiert seinen König (vgl. 1 Sam 10,24). Samuel bleibt Zeit seines Lebens an der Seite der Könige. Er ist sozusagen Sauls und später Davids rechte Hand. Entscheidungen werden gemeinsam getroffen. Dennoch wechseln königskritische und königsfreundliche Stimmen im Weiteren ab.

Nach einem langen Leben verabschiedet sich Samuel vom ganzen Volk und seinem König. In einer abschließenden Rede mahnt er sie alle, auf Gottes Stimme zu hören und gemäß seiner Weisung zu leben (vgl. 1 Sam 12,14-15).

Samuel ist ein Mann des Übergangs. Die politische Macht gibt er an die Könige ab. Umso stärker tritt er als Prophet hervor. Er und seine Nachfolger sind das kritische Gegenüber des Königtums.[4] Prophetisch leben im Sinne Samuels und Hannas bedeutet: Im eigenen Bereich für Recht und Gerechtigkeit sorgen, die Obrigkeit willensstark in die Pflicht nehmen und Gottes Hilfe für die Benachteiligten herbeisingen. Das tut in Kirche und Gesellschaft not.

Dr. Christine Abart, Diözesanleiterin in München und Freising


[1] Andere deutsche Übersetzungen bezeichnen Hanna als unglückliche, betrübte oder verzweifelte Frau. Der hebräische Text lässt aber mindestens gleichrangig die Darstellung Hannas als willensstarke Frau zu. Hanna tritt ja keineswegs passiv leidend auf. Vgl. Kessler, Rainer, Samuel (Biblische Gestalten). Leipzig: Evangelische Verlagsanstalt 2007, 43.

[2] Saul ist die griechische/lateinische Schreibweise des hebräischen Namens Schaul.

[3] Vgl. Ps 113,7-9 und den Lobgesang Marias in Lk 1,46-55.

[4] Vgl. Kessler, Rainer, Samuel (Biblische Gestalten). Leipzig: Evangelische Verlagsanstalt 2007, 12.

Losing my religion

Ein Song der Gruppe R.E.M. und die Frage, was haben wir damit zu tun?

>Losing my religion< ist ein Song, der gut in unseren gegenwärtigen Globe passt und uns einlädt über unsere Situation nachzudenken. Der Ausdruck >Losing my Religion< lässt sich am besten übersetzen mit:  Aus der Haut fahren. Aber auch die wort-wörtliche Übersetzung ist möglich: Meinen Glauben verlieren.

Das Lied fängt ganz super an: life is bigger – das Leben ist größer – du bist anders.
Aber zunehmend im Verlauf des Liedes zeigt der Song eine innere Zerrissenheit auf, so als ginge es dabei zu wie: zwei Schritte vor und wieder zurück – und man bleibt auf der gleichen Stelle.
Es dreht sich um ein Problem von Nähe und Distanz, weswegen der Sänger in der Ecke, im Rampenlicht auch aus der Haut fährt und die Schnauze voll hat.
Er spricht jemand an, versucht dran zu bleiben, weiß nicht, ob er zu viel gesagt hat oder zu wenig und ob es ihm überhaupt gelingen kann mit seinem Gegenüber in ein Dialog zu treten. Trotzdem glaubt er (der Sänger) die Person lachen bzw. singen gehört zu haben.
Jedes Flüstern in all den schlaflosen Stunden zieht er all den Bekenntnissen vor.
Und am Ende wird gesagt, dass das Ganze nur ein Traum gewesen sei: 
Just a dream, just a dream.
Es geht um eine Zumutung, die eine Sinnesänderung bewirkt!
Soeine Veränderung, könnten wir, – schauen innerkirchlich – als auch in unsere kleine und große Welt gut gebrauchen:

Eine Änderung unserer Sichtweisen, ein neues Verstehen und Handeln

Paulus schreibt im 2. Brief an die Korinther 7,10 weiter:               
Eine gottgewollte Traurigkeit verursache gerade diese Sinnesänderung zum Heil.                                                                                                        

Was wäre, wenn uns alle Fantasien, Fragen, Probleme, Antworten um die Ohren fliegen?  Was wäre wenn?

Losing my Religion und/oder einen neuen, anderen Glauben ?!

Wenn es ein Erwachen gäbe aus unseren (Alb-) Träumen? Könnte dies nicht auch zu einem Erkennen der realen Möglichkeiten (in Kirche und Welt) führen?
Wir könnten uns fragen, ob es noch Möglichkeiten, ja Spielräume in der kath. Kirche geben könnte, in unseren (Erz-)Bistümern, in der Gesellschaft, bei uns selbst und bei den anderen geben könnte?

Und  wir müssten auch fragen, welche Veränderungen gegenwärtig überhaupt noch möglich sind bzw. möglich gemacht werden.

Es gibt viel zu tun – packen wir es an oder lassen wir es liegen????

Dr. Ulrich Kmiecik, Berlin

Weißt du, wie viel Sternlein stehen …? Sehnsuchtsvolle Blicke in Himmel und Bibel

Seit jeher übt der Sternenhimmel eine unwiderstehliche Faszination auf Menschen aller Kulturen aus: Mal ist es die Sehnsucht nach fernen Galaxien und unbekannten Welten, mal legt der Griff nach den Sternen gefährlichen Größenwahn nahe, mal fühle ich mich angesichts des nahezu unendlichen Alls als (kleiner?, unbedeutender?, behüteter?) Teil dieser Schöpfung.

So laden gerade laue, sternenklare Sommernächte zum schweifenden Nachdenken ein – was ich gerne mit der Bibel in der Hand tun möchte.
Kommen Sie mit auf eine kleine biblische Tour zu den Sternen?!

Wie alles begann … – Der mythische Auftakt der Bibel

Ganz am Anfang der Bibel erzählt die erste Schöpfungsgeschichte davon, wie Gott Himmel und Erde erschafft. Am vierten Schöpfungstag ist es so weit: Gott bestückt das Firmament mit Lichtern. Sonne und Mond werden ausgiebig in Szene gesetzt; die Sterne dagegen nur beiläufig erwähnt:

„Gott machte die beiden großen Lichter, das große zur Herrschaft über den Tag, das kleine zur Herrschaft über die Nacht, und die Sterne.“ (Genesis 1,16)

Mich fasziniert der nächtliche Sternenhimmel. Gerade in diesen milden Sommernächten freue ich mich, wenn das strahlende und funkelnde Sternenmeer am Himmel leuchtet. Was für ein Glanz! Dann weht mich manchmal ein Hauch von Unendlichkeit an. Manchmal spüre ich den Atem Gottes: Seiner Liebe verdankt sich die ganze Schöpfung, „und auch die Sterne“.

Die große Frage – Ein Blick nach oben mit Tiefgang

Der Blick zum nächtlichen Sternenhimmel kann Unterschiedliches auslösen: Ich bin fasziniert angesichts der riesigen Zahl funkelnder Lichter – bin geborgen als kleiner Teil eines großen Ganzen – mir ist schwindelig angesichts der unendlichen Weiten. Und plötzlich sind die großen Fragen des Lebens da.

So geht es dem betenden Menschen in Psalm 8. Im Blick auf den Mond und die Sterne stellt sich die Frage: „Was ist der Mensch, dass du seiner gedenkst, des Menschen Kind, dass du dich seiner annimmst?“ (Psalm 8,5) Der Mensch, so klein unter dem riesigen Sternenzelt. Zugleich Geschöpf Gottes, mit unverlierbarer Würde.

Psalm 8 fährt fort: „Du hast ihn nur wenig geringer gemacht als Gott, du hast ihn gekrönt mit Pracht und Herrlichkeit.“ (Psalm 8,6) Was für eine Zusage – vor allem angesichts des Universums.

Wegweiser – Orientierende Blicke gen Himmel

Schlendern Sie auch gerne durch Sommernächte? Ich mag das sehr: Der Sternenhimmel über mir. Es funkelt und glitzert; manche Sterne hell und klar, andere flackernd. Immer halte ich Ausschau nach dem Abendstern, dem hellsten Lichtpunkt am Himmel.

Sterne faszinieren die Menschen seit jeher. Und Sterne dienen auch zur Orientierung – zur Navigation.

Bei Sternen, die den Weg weisen, kommt mir eine Erzählung aus dem Matthäusevangelium in den Sinn: Die Sterndeuter aus dem Osten suchen Jesus, den neugeborenen König. Und sie finden ihn dank eines Sterns. Das wünsche ich mir auch: Einen Stern, der mir die richtige Route auf meinem Lebensweg weist, der mich ans Ziel meiner Sehnsüchte und Hoffnungen führt. Es lohnt sich, nach so einem Stern Ausschau zu halten.

Sternenpracht – Verheißungsvolles Funkeln

„Sieh doch zum Himmel hinauf und zähl die Sterne, wenn du sie zählen kannst!“ (Genesis 15,5) Nicht so leicht, was Gott dem Abraham da in der biblischen Erzählung aufträgt. „Zähl die Sterne“!

In Juli-Nächten ist der Sternenhimmel eine Pracht. Ich könnte ewig nach oben schauen und die Sterne beobachten. Auf die Idee, sie zu zählen, komme ich dabei selten. Kinder versuchen es aber tatsächlich immer wieder.

Abraham soll die Sterne nicht wirklich zählen; wörtlich zu nehmen ist dieser Auftrag Gottes nicht. Das Wort von den Sternen soll die göttliche Verheißung illustrieren: Nachkommen, so zahlreich wie die Sterne am Himmel. Das ist mal eine Ansage. Und so erinnert Abraham der Blick zum Sternenhimmel stets an die Verheißung Gottes. Und wer weiß: Vielleicht funkeln ja auch Ihnen und mir die Sterne verheißungsvoll entgegen? Gott hat Gutes mit uns im Sinn.

Womit dieser kurze Streifzug auch schon wieder zu Ende wäre – persönliche Fortsetzungen in Sternenhimmel und/oder Bibel sind aber natürlich jederzeit möglich. Auf zu den Sternen!

Titelbild: Bild von Pfüderi auf Pixabay

Menschen des Buches leben gefährlich – buchstäblich!

Liebe Lesende unseres Blogges,

„Bibelmenschen“ sind Menschen des Wortes. Bibelmenschen sind – zwangsläufig – auch Menschen des Buches. Wahrscheinlich geht es den meisten so wie mir. Mit der Zeit werden die Bücher immer mehr: Bibeln, Fachliteratur, Hand-, Arbeits- und Methodenbücher. Ordner mit Vorträgen, Seminaren, etc. Da kann man schon mal schnell den Überblick verlieren, über das, was da alles an Schätzen im Schrank steht. Hin und wieder zieht man, auf der Suche nach einem bestimmten Buch, ein anderes aus dem Regal und stellt fest, dass man sich gar nicht mehr erinnern kann, es zu besitzen. Umso größer die Freude, wenn man es findet. Dem Schreiber dieser Zeilen geht es ähnlich. Das häusliche Arbeitszimmer gleicht mehr einer Bibliothek. Die Regale waren so gestellt, dass sie sich einerseits an den Wänden entlangzogen und andererseits an einer Stelle zugleich wie ein T in den Raum hineinragten. Da mit der Zeit aber diese Regale immer mehr Platz eingenommen haben und teils schon fast kein Durchkommen mehr war, stand ein Um-, Auf- und auch Wegräumen dringend auf der Tagesordnung. Gesagt getan. Fleißig wurden Regale ausgeräumt, dabei die Bücher und Materialien gesichtet und säuberlich gestapelt. Bis, ja bis, mir im Eifer des Sortierens auffiel, dass hier irgendwas nicht stimmen kann; denn, während ich ruhig stand, bewegte sich – zunächst ganz langsam – das Regal von mir weg. Dann nahm sich die Schwerkraft ihr Recht und das komplette T-Stück fiel in den Raum hinein. Das Chaos kann man nicht beschreiben – man muss es sich ansehen:

Nach dem der erste Schockmoment vorüber war begann die Überlegung, wie jetzt weiter. Zunächst wurden mit Frau und Tochter Kisten organisiert und die Bücher stapelweise hinausgetragen, so dass ein Begehen des Raumes möglich wurde. Danach untersuchte ich die Regale – Totalschaden. Gut, dass noch einige ungenutzt im Keller standen, so dass in einem nächsten Schritt ein Neuaufbau begonnen werden konnte. Das einzig Positive an der Situation war dabei tatsächlich, dass ich gezwungen war jedes einzelne Buch mindestens zweimal in die Hand zu nehmen – beim Chaos bereinigen, und später wieder beim neu Einräumen, so dass auch aussortiert werden konnte. Teils wurden Bücher entdeckt, die seit dem Einzug in der Wohnung nicht mehr bewegt, geschweige denn benutzt worden sind. Teils haben einige Bücher den Zusammenbruch nicht überlebt. So sehr ich auch ein Mensch des Buches bin – es war an der Zeit mich von einigen zu trennen. Manche waren theologisch nicht nur überholt, sondern quasi von einem anderen Stern. Andere – speziell Materialien und Methodenbücher – hatten den Charme der Jahrtausendwende und waren für heutige Leser nicht mehr wirklich geeignet. So kam es, dass ich einen Tag später bereits mehrere Kisten für den Wertstoffhof gefüllt hatte und zugleich erste Regale wieder begannen sich zu füllen. Aber erst ein Besuch in einem bekannten schwedischen Möbelhaus hat dazu geführt, dass der Boden endgültig von Bücherstapeln befreit werden konnte und ein gefahrloser Weg von der Zimmertür zum Schreibtisch möglich wurde.

Der Erkenntnisgewinn der vergangenen Tage ist enorm: Es ist nicht klug beim Abbau von Bücherwänden zunächst den tragenden Teil abzubauen. Ich weiß jetzt, dass ich mit der Anzahl meiner Einheitsübersetzungen zwei komplette Schulklassen ausrüsten kann und zugleich noch genug übrig habe um selber weiterzuarbeiten. Einen Abend lang Bücher herumheben erspart den Besuch im Fitnessstudio. Und, dank der Entsorgungsaktion, hat sich der sichtbare Fußboden deutlich vergrößert.

In gewisser Weise hat sich der Schockmoment des Zusammenbruchs so noch in einen Gewinn verwandelt – wenn, ja, wenn nicht eigentlich noch eine Predigt fertig werden müsste, ein Vortrag für kommenden Montag geschrieben werden will und eine Abgabefrist für den Verlag Mitte des Monats mir im Nacken sitzt. Aber wann, wenn nicht in stressigen Momenten, passieren schon solche Super-GAUs.

Nun sitze ich an meinem Schreibtisch und sehe tatsächlich Lücken in den Regalen. Gut, dass ich als Büchermensch Koh 12,12b kenne. Da wird mir nicht Bange.

Daniel Pomm, Diözesanleiter Erfurt

Das volle Leben

Da schreiben wir monatlich, die Diözeanleiter und -leiterinnen des Katholischen Bibelwerk in Deutschland, und versuchen, Weizenkörner in die Unkrautwiese zu streuen, oder vielleicht auch ein bisschen Unkraut ins Weizenfeld zu setzen, je nach dem. Unkraut ist ja bekanntlich eine Frage der Definition.
Natürlich sind wir alle vielbeschäftigt und wägen doch jedes Wort, ob es taugt. Und deswegen muss man beim Schreiben haushalten. (Vom Haushalten wird weiter unten noch die Rede sein.) Ich verhehle also nicht, dass dieser Beitrag eine Art Recycling ist, allerdings ein ganz frisches, und zwar der Gedanken zum Sonntag in der lokalen Presse am 3. Ostersonntag:

Leben als letzte Gelegenheit

Ostern liegt inzwischen zwei Wochen zurück, die Ferien sind vorbei, wer Urlaub hatte, ist vermutlich zurück in der Arbeit. Für Christen ist allerdings immer noch Ostern, biblisch gesprochen: „der erste Tag der Woche“.
Der erste Tag der Woche ist, von der Kirche aus gesehen, nicht der Montag, sondern der Sonntag. Er gilt nach den sieben Tagen der Schöpfung als der „achte Tag“ und als der erste Tag einer neuen Schöpfung, die mit Jesus Christus beginnt. Und ab da wird nicht weitergezählt. Einen neunten Tag gibt es in der Perspektive des christlichen Glaubens nicht, denn mit dem Ostertag ist eine neue Schöpfung angebrochen, deren Tage nicht gezählt sind.
Es wäre schon schön, wenn wir nicht zählen müssten. Wir zählen das Geld, und wir zählen die Tage (die uns bleiben), weil wir als Christen eben doch noch, mit einem Bein gewissermaßen, in der alten Schöpfung stehen und alles ein Ende hat. „Früher lebten die Menschen 70 Jahre plus ewig“, schrieb die Soziologin Marianne Gronemeyer 1996 in einem Buch mit dem Titel „Das Leben als letzte Gelegenheit“. Untertitel: „Sicherheitsbedürfnisse und Zeitknappheit“.
Wir leben im Zeichen der Knappheit. Unsere Bedürfnisse sind in den sieben Schöpfungstagen, und das heißt: in der Welt, einfach nicht zu befriedigen. Die Welt ist endlich und wir sind es auch. Diese Einsicht bedeutet natürlich nicht, dass wir leben müssen, als sei das Leben „die letzte Gelegenheit“, denn wenn das jeder tut, bleibt für viele nicht viel übrig. Es kann nicht jeder alles herausholen. Wir müssen haushalten.
Aber was ist dann mit dem „Leben in Fülle“, das sich jeder wünscht und das Jesus im Johannesevangelium verspricht (Joh 10,10)? Ein frommer Wunsch fürs Jenseits, dessen wir uns auch als Christen vielleicht doch nicht immer so sicher sind?
In der zentralen Geschichte dieses Sonntags (für jene, die in den Gottesdienst gehen) sehen sich zwei Menschen ums Leben betrogen, jedenfalls um das, worauf die gehofft hatten. Die Erzählung ist den meisten bekannt, auch wenn sie nicht in den Gottesdienst gehen. Sie handelt von zwei Jüngern, die in ein Dorf namens Emmaus unterwegs sind und Jesus begegnen, ohne ihn zu erkennen.
Ich habe in Israel gelebt und vier Dörfer kennengelernt, die das antike Emmaus gewesen sein wollen. Offenbar ist die Erfahrung der beiden Jünger aus dem 24. Kapitel des Lukasevangeliums so vertraut, dass ein Dorf dafür nicht ausreicht.
Die Erfahrung dieser Jünger besteht im wesentlichen darin, dass sie nicht sehen. Sie sehen keinen Sinn in dem, was sie erlebt haben. Was hinter ihnen liegt, erscheint ihnen als ein einziger Verlust. Sie können auch dann noch keinen Sinn darin sehen, als ein Fremder kommt und ihnen die ganze Geschichte, ihre Geschichte, neu erzählt.
Es wird Abend, und es sieht aus, als wäre dieser erste Tag der Woche bald zu Ende. Dann werden sie eben weiterzählen, bis ihre Tage zu Ende sind.
Nein, das werden sie nicht, denn vorher gibt es ein Abendessen, und der Fremde bricht das Brot, wie man es üblicherweise tat, und wie Jesus es immer getan hat, und da erkennen sie ihn: Der Fremde ist Jesus. In diesem Moment geht ihnen auf, dass es alles doch einen Sinn hatte und dass nichts von dem, was sie verloren glaubten, wirklich verloren ist.
Vielleicht ist unser Leben ja tatsächlich die „letzte Gelegenheit“. Aber nicht in dem Sinn, dass wir alles herausholen müssten, was nur geht, sondern weil jeder Moment, den wir erleben oder erleiden, einen Sinn hat und – bleibt.
Mit dem zweiten Bein stehen Christen eben doch schon in der neuen Schöpfung, in der das Leben nicht in seiner Länge, sondern in seiner Tiefe und damit in der Fülle gegenwärtig ist. Das geht den Jüngern von Emmaus bei der schlichten Geste des Brotbrechens auf. Es ist die Geste und das Erkennungsmerkmal Jesu bis heute. Wer am Sonntag in den Gottesdienst geht, empfängt das Brot aus den Händen dessen, der ganz im Leben angekommen ist. Und da möchten wir ja alle hin.
Ich wünsche allen Lesern und Leserinnen viele Emmausbegegnungen!

Andrea Pichlmeier