Prophetisch leben wie Hanna und Samuel

Hanna, die Mutter Samuels, ist eine willensstarke Frau. So bezeichnet sie sich selbst vor dem Priester Eli im Heiligtum von Schilo (vgl. 1 Sam 1,15).[1] Eli hält sie für betrunken. Hanna aber ist ganz im Gebet versunken. Sie klagt Gott ihr Leid der Kinderlosigkeit. Dieses Gebet verteidigt sie vor dem Tempelpriester.

Visionen und Auditionen waren zu dieser Zeit selten (vgl. 1 Sam 3,1). Hanna aber wird zur Prophetin. Von Gott hat sie einen Sohn erbeten und nennt ihn Samuel, übersetzt etwa „im Namen Gottes“, gedeutet auch als „Gott hat gehört“. Beide Übertragungen passen gut zum späteren Prophetenleben Samuels. Hanna bezeichnet ihren Sohn zudem als einen, den Gott erbittet. So wie sie um dieses Kind gefleht hat, lässt sie ihn von Gott zurückbitten und bringt den Dreijährigen zum Dienst in den Tempel. „Der Erbetene“ heißt auf Hebräisch „Schaul“. Darin klingt bereits die künftige Wahl Sauls[2] zum König an. Wie oft in der Bibel sind die Namen auch hier Programm für Samuels Leben.

In 1 Sam 2,1-10 singt Hanna vom Ende jeglichen Unrechts: JHWH erhöht die Gedemütigten, hebt die Schwachen aus dem Staub, sättigt die Hungrigen und schenkt den Unfruchtbaren zahlreiche Kinder.[3] Im Schlussvers erwähnt Hanna einen künftigen König als Gesalbten JHWHs. Zu ihrer Zeit gibt es noch kein Königtum in Israel. Unter Samuel wird es aber errichtet. In 1 Sam 2,21 erfahren wir, dass Hanna noch drei Söhne und zwei Töchter bekommen hat. Die Prophetin ist von Gott gesegnet und bestätigt.

Samuel ist Schüler des Priesters Eli im Tempel von Schilo. Auch die Söhne Elis tun hier ihren Dienst. Eli ist alt geworden und seine Söhne nützen ihre priesterliche Vorrangstellung schamlos aus. Nicht verwunderlich, dass sie das Wort Gottes nicht hören und keine Visionen haben (vgl. 1 Sam 3,1). Samuel aber wird mitten in der Nacht von Gott gerufen (vgl. 1 Sam 3,2-10). Auch er kennt die Stimme JHWHs noch nicht. Vermutlich hätte er JHWH zuhause bei seiner Mutter besser kennenlernen können als im Tempel von Schilo.

Samuel ist von Gott berufen. Der Priester Eli soll es als erster erfahren. Keiner von Elis Nachkommen sondern Samuel wird von nun an als Richter und Priester in Israel wirken. Alt geworden erinnert Samuel sein Volk, dass er für Recht und Gerechtigkeit unter ihnen gesorgt hat (vgl. 1 Sam 12,3). Samuels Söhne aber sind nicht nach ihm geraten. Sie verhalten sich ähnlich wie die Söhne des Priesters Eli. Die Geschichte wiederholt sich und das Volk ruft nach einem König. Samuel zeigt auf, was dann geschehen wird: Der König wird die Söhne als Arbeiter und zum Kriegsdienst holen, die Töchter werden für ihn kochen, backen und ihn salben müssen. Die besten Felder, Weinberge und Ölbäume wird er den Leuten wegnehmen und seinen Beamten geben. Der König wird Steuern einheben und das Volk versklaven (vgl. 1 Sam 8,11-17). Gott reagiert ebenfalls pikiert und sagt zu Samuel: „nicht dich haben sie verworfen, sondern mich … Ich soll nicht mehr ihr König sein“ (1 Sam 8,7).

Israel aber proklamiert seinen König (vgl. 1 Sam 10,24). Samuel bleibt Zeit seines Lebens an der Seite der Könige. Er ist sozusagen Sauls und später Davids rechte Hand. Entscheidungen werden gemeinsam getroffen. Dennoch wechseln königskritische und königsfreundliche Stimmen im Weiteren ab.

Nach einem langen Leben verabschiedet sich Samuel vom ganzen Volk und seinem König. In einer abschließenden Rede mahnt er sie alle, auf Gottes Stimme zu hören und gemäß seiner Weisung zu leben (vgl. 1 Sam 12,14-15).

Samuel ist ein Mann des Übergangs. Die politische Macht gibt er an die Könige ab. Umso stärker tritt er als Prophet hervor. Er und seine Nachfolger sind das kritische Gegenüber des Königtums.[4] Prophetisch leben im Sinne Samuels und Hannas bedeutet: Im eigenen Bereich für Recht und Gerechtigkeit sorgen, die Obrigkeit willensstark in die Pflicht nehmen und Gottes Hilfe für die Benachteiligten herbeisingen. Das tut in Kirche und Gesellschaft not.

Dr. Christine Abart, Diözesanleiterin in München und Freising


[1] Andere deutsche Übersetzungen bezeichnen Hanna als unglückliche, betrübte oder verzweifelte Frau. Der hebräische Text lässt aber mindestens gleichrangig die Darstellung Hannas als willensstarke Frau zu. Hanna tritt ja keineswegs passiv leidend auf. Vgl. Kessler, Rainer, Samuel (Biblische Gestalten). Leipzig: Evangelische Verlagsanstalt 2007, 43.

[2] Saul ist die griechische/lateinische Schreibweise des hebräischen Namens Schaul.

[3] Vgl. Ps 113,7-9 und den Lobgesang Marias in Lk 1,46-55.

[4] Vgl. Kessler, Rainer, Samuel (Biblische Gestalten). Leipzig: Evangelische Verlagsanstalt 2007, 12.