Im Licht sein

So sehr hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen Sohn gab, damit jede und jeder, der an Gott glaubt, nicht verloren gehe, sondern ewiges Leben hat.

Joh 3,(15)16-21

Der nächste Satz im Johannesevangelium lautet:  

Gott schickte seinen Sohn nicht in die Welt, damit er richtet, sondern damit die Welt gerettet wird. Und: Wer an ihn glaubt, wird nicht gerichtet!

Im Gegenteil wir sind Söhne und Töchter des Lichts. Das ist nichts, was erst irgendwann sein wird. Jetzt und heute gilt das: Wir sind hell, wir dürfen leuchten, wir haben Christus angezogen, in uns ist Licht und Wärme und Liebe. Wir dürfen strahlen.

Das Johannesevangelium ist sehr radikal. Entweder im Licht oder im Finstern. Sind wir bei und in Christus, sind wir im Licht. Es geht um eine Entscheidung. Wo will ich sein? Worauf bin ich ausgerichtet? Von wo lasse ich mich anziehen?
Heute weiß man aus vielen Forschungen, dass wir sehr viel Einfluss darauf haben, wie wir in der Welt sind. Lasse ich mich überfluten von negativen Gedanken? Fühle ich mich all den finsteren Schatten ausgeliefert? Lasse ich zu, dass sich Ängste, Hass und Sorgen in mir ausbreiten?

Ich meine das nicht moralisch, sondern ganz praktisch. Was ich denke und fühle, kann ich steuern. Ich kann mich von jedem Gedanken und jedem Gefühl, distanzieren – aha, ein Gedanke – aha ein Gefühl – und was mache ich jetzt damit? Darf dieser Gedanke mein Leben jetzt leiten? Oder denke ich lieber was anderes? Darf sich dieses Gefühl, z.B. von Hoffnungslosigkeit, jetzt ausbreiten – oder setze ich etwas anderes dagegen. Z.B. ein Gebet, eine gute Erinnerung, eine Zeile aus einem guten Lied …

Ich glaube, das ist die wichtigste Kraft, die wir aus dem Glauben heute haben können: Die Praxis, uns immer wieder darauf auszurichten, das Gute wahrzunehmen. Das Licht zu sehen: Die Freundlichkeit der Nachbarin – sehe ich in ihr das Licht Christi? Die Entschiedenheit für die Freiheit anderer auch das eigene Leben zu geben – wie es zum Beispiel Herr Nawalny getan hat!

Er werde »über Gott und Erlösung reden. … « so sagte Nawalny 2021 vor dem Richter. Er sei ein gläubiger Mensch, auch wenn das nicht immer so gewesen sei und manche seiner Mitstreiter darüber spotteten. Aber der Glaube »hilft mir in meiner Tätigkeit, weil alles viel, viel einfacher wird«, sagte er. »Selig sind, die hungern und dürsten nach Gerechtigkeit, denn sie sollen satt werden«, zitierte Nawalny aus der Bergpredigt. Das möge exotisch und seltsam klingen, aber die Überzeugung, dass sich am Ende die Wahrheit durchsetze und der Durst nach Gerechtigkeit gestillt werde, sei im Grunde die wichtigste politische Idee Russlands.

Dabei … richtete er seine Worte nicht – wie in früheren Verhandlungen – gegen Wladimir Putin, sondern auf das bessere, gerechtere, wohlhabendere Russland, das ihm vorschwebe. Statt vom Präsidenten sprach er von Renten, Lebenserwartung, Löhnen. »Russland wird frei sein«, dieser Slogan der Opposition komme ihm mittlerweile ungenügend vor, sagte Nawalny. »Wir sind ein sehr unglückliches Land. Wir sind vom Unglück umgeben und können uns nicht daraus befreien. Deshalb schlage ich vor, den Slogan zu ändern. Russland muss nicht bloß frei, es muss auch glücklich sein. Russland wird glücklich sein.«

Herr Nawalny hat entschieden, im Licht zu sein. Sich nicht zu ängstigen, nicht aufzugeben, sondern die Wahrheit groß sein zu lassen. Die Wahrheit, dass die Welt im Licht sein darf.

„Unsere tiefste Angst ist nicht, dass wir unzulänglich sind.

Unsere tiefste Angst ist, dass wir unermesslich machtvoll sind.

Es ist unser Licht, das wir fürchten, nicht unsere Dunkelheit.

Wir fragen uns: Wer bin ich eigentlich, dass ich leuchtend, hinreißend, talentiert und fantastisch sein darf?

Wer bist du denn, es nicht zu sein?

Du bist ein Kind Gottes.

Dich selbst klein zu halten, dient der Welt nicht.

Es hat nichts mit Erleuchtung zu tun, wenn du dich kleiner machst, damit andere um dich herum sich nicht verunsichert fühlen.

Wir sollen alle strahlen wie die Kinder.

Wir wurden geboren, um die Herrlichkeit Gottes zu verwirklichen, die in uns ist.

Sie ist nicht nur in einigen von uns; sie ist in jedem Einzelnen.

Und wenn wir unser eigenes Licht erstrahlen lassen, geben wir unbewusst anderen Menschen die Erlaubnis, dasselbe zu tun.

Wenn wir uns von unserer eigenen Angst befreit haben, befreit unsere Gegenwart andere ganz von selbst.”

(Marianne Williamson aus ihrem Buch „Rückkehr zur Liebe“ (2016). Sehr oft wird der Text Nelson Mandela zugeschrieben, der ihn angeblich in seiner Antrittsrede zitiert hätte.)

Das genau ist, woran man erkennen kann, wer im Licht ist.

(…)

Und genau darum geht es im Evangelium. Vielleicht üben Sie es das mal eine Woche lang.

Wenn Sie sich ertappen bei finsteren Gedanken – summen Sie ein Lied. Wenn Sie sich ärgern, über sich selbst oder andere – probieren Sie es mit liebevoller Wertschätzung und denken Sie daran: Ihr seid das Licht der Welt.  Amen

Gekürzte Fassung der Predigt am 10. März 2024 im südlichen Strohgäu (Nähe Stuttgart) von Dr. Katrin Brockmöller, Geschäftsführende Direktorin des Kath. Bibelwerkes e.V. Stuttgart