Junger Wein in alten Schläuchen

Auch füllt niemand jungen Wein in alte Schläuche. Sonst würde ja der junge Wein die Schläuche zerreißen; er läuft aus und die Schläuche sind unbrauchbar.
Sondern: Jungen Wein muss man in neue Schläuche füllen.
Und niemand, der alten Wein trinkt, will jungen; denn er sagt: Der alte ist bekömmlich.
Lukas 5,37-39

Alle drei synoptischen Evangelien kennen den Spruch vom jungen Wein, den man in neue Schläuche füllen soll. Eine sehr einsichtige Aufforderung ist das. Wer anders handelt, hat den Schaden sofort: Wein und Schläuche sind kaputt.

1. Der Wein läuft aus und damit der Ertrag der Ernte und der Vorrat für das kommende Jahr.

2. Gleichzeitig mit dem jungen Wein gehen auch noch die alten, leergetrunkenen, aber evtl. für andere Dinge noch gut zu verwendenden Schläuche kaputt.

In den Evangelien steht diese Antwort Jesu jeweils im literarischen Kontext von Diskussionen mit den Nachfolger/innen des Johannes sowie mit Mitgliedern der pharisäischen Gemeinschaft. Beide Gruppen befolgten strenge Fasttage. Jesus kontert ihre Anfrage, wieso seine Jünger nicht fasten, mit dem Verweis auf ein Hochzeitsfest. Solange der Bräutigam da ist, dauert das Fest. Essen und Trinken gehört selbstverständlich dazu. Fasten können seine Jünger dann später. Hier geht es um Grundsatzfragen, nicht um Kleinigkeiten.

Jesus rät in diesem kurzen Evangelium dazu, in Fragen der religiösen Praxis klug zu differenzieren: Was passt wann? Welches Verhalten, welche Entscheidungen sind angemessen für welchen Kontext? Die Botschaft des Gleichnisses lautet also: Die Regeln für religiöse Praxis jeder Art können immer nur aus einer guten Analyse der jeweiligen Gegenwart erschlossen werden. Was steht an? Wessen Nähe gilt es zu feiern? Was geht verloren, wenn wir das falsche Material verwenden? Es muss passen! Organisiert eure religiöse Praxis möglichst so, dass weder Material verschleudert wird noch Ressourcen bzw. Lebensmittel verloren gehen. Der junge Wein gehört in junge Schläuche.

Natürlich ist das jenseits der konkreten Bildwelt auch im übertragenen Sinn eine Einladung: Nehmt neues Material, wenn neue Gaben vorhanden sind. Lasst das mit den alten Schläuchen und Traditionen. Wenn ihr neue Vorräte anlegen wollt, dann müsst ihr auch bereit sein, in neues Material zu investieren. Gebt euer Geld für neue Schläuche aus!

In der aktuellen kirchlichen Situation, die geprägt ist vom Entsetzen über den vielfältigen Missbrauch von Macht und Körpern, vom wachsenden Unmut über die streng am Geschlecht orientierte Aufteilung pastoraler Aufgaben, sowie dem Verlassen der Kirche als institutionelle Gemeinschaft, liegen Deutungen für dieses Gleichnis Jesu sehr offen auf der Hand. Ist der neue Wein heute die neue Wahrnehmung und Wertschätzung der Würde und Gleichrangigkeit von Frauen, von ihren Ideen, ihren Körpern, ihrem Glauben und ihren Charismen? Wollen wir diese Gaben wirklich in alte Schläuche stecken? Haben wir denn „neue Schläuche“ oder sind bereit, welche einzukaufen?

Wie auch immer sich unsere Kirche entwickeln wird. Wenn nichts geschieht oder zu wenig, werden einige noch eine Zeit lang vom Vorrat des „alten Weines in alten Schläuchen“ trinken können. Aber dieser Vorrat wird dann zu Ende gehen.

Neuer Wein wird nicht zu altem Wein reifen, wenn keine neuen Formen erfunden werden.

Alternativ kann man auch einfach den eigenen jungen Wein ernten und in neue Schläuche füllen! Dann heißt es, neugierig abwarten, wie er sich entwickelt.

Dr. Katrin Brockmöller, Direktorin Katholisches Bibelwerk e.V. in Stuttgart, www.bibelwerk.de

Dieser Text ist zuerst erschienen in: Sende deinen Geist aus und erneuere das Antlitz deiner Kirche. Liturgische Lese- und Arbeitshilfe für den Gebetsruf und das Friedensgebet 2019/2020, Kolping Diözesanverband Münster (www.kolping-ms.de), S. 16-17.